Eine kleine, wahre Geschichte
Es stimmt tatsächlich, dass die besten Geschichten mitunter das Leben schreibt. Ich selbst habe so eine Geschichte die Tage erst erlebt. Es war einer der ersten, herrlich sonnigen Frühlingstage. Ich stand ausnahmsweise einmal nicht unter Zeitdruck, konnte also meinen Sohn gemütlich zu Fuß von der Kita abholen. Auf dem Weg dorthin komme ich an dem Parkplatz eines Mietshauses vorbei. Dort steht ein Auto, nein, die Marke weiß ich nicht, habe nicht darauf geachtet. Ein kleines Auto und die Farbe kann man wohl am ehesten als ein dunkles Rosa bezeichnen. Vom Kennzeichen sind mir auch nur noch die Buchstaben erinnerlich, MI-MA, auf die Zahlen habe ich nicht geachtet. Auf dem Fahrersitz ein junger Mann, etwa Anfang bis höchstens Mitte 20, also um einiges jünger als ich, der mich aus dem geöffneten Fenster heraus anspricht.
Als erstes denke ich, der will wohl nach dem Weg fragen. Was er dann tatsächlich sagt, ist allerdings eine Überraschung.
„Darf ich Sie näher kennen lernen?“
„Warum?“, frage ich zurück.
„Sie gefallen mir.“
Ui, schmeichelhaft, aber ich wedele ihm mit der rechten Hand vor dem Gesicht herum, an welcher der Ehering blinkt und sage: „Keine Chance.“
„Warum nicht?“, fragt er weiter.
„Ich bin verheiratet.“
„Und Sie sind treu?“
Unwillkürlich muss ich daran denken, dass ich schon von Treuetestagenturen gehört habe, die einen vermeidlich untreuen Ehepartner bewusst auf die Probe stellen, versuchen, ihn zu verführen um zu sehen, ob er darauf anspringt. So kommt mir diese Situation auch vor, nur dass mein Mann sich seiner Sache bei mir so sicher ist, dass er kaum auf so eine Idee käme.
„Ja, ich bin treu“, antworte ich also.
Der Junge bleibt hartnäckig: „Aber Ihr Mann muss nichts davon erfahren.“
Ich bleibe bei meinem Nein. Dabei, irgendwie ganz niedlich ist der schon, auch wenn ich ihn beim besten Willen nicht detailliert beschreiben könnte. Wieder einmal wird mir bewusst, dass ich für die Polizei eine lausige Zeugin wäre. Mit meiner Hilfe könnte man bestimmt kein brauchbares Phantombild erstellen. Ja, er war jung und ganz knuddelig, aber welche Haarfarbe hatte er? Habe ich kaum was von gesehen, weil er so ein Käppi aufhatte, das die Haare fast komplett bedeckte. Darunter lugten einige hell blondierte Spitzen hervor, glaube ich. Und die Augenfarbe? Nein, Fehlanzeige, so tief habe ich ihm nicht in die Augen geschaut. Erinnern tue ich mich nur daran, dass er Piercings in den Nasenflügeln hatte, kleine, runde, hellblaue Glitzersteinchen. Er fällt durchaus in die Kategorie: Würde ich nicht von der Bettkante stoßen wenn, ja wenn ich nicht verheiratet wäre und glücklich dazu, das Kind, das aus dieser Ehe entstanden ist, nicht abholen müsste. Denn das ist nämlich seine nächste Frage, ob ich in meiner Ehe glücklich bin. Ja, bin ich, Pech für dich, mein Junge. Aber so leicht gibt er immer noch nicht auf.
„Möchten Sie nicht trotzdem eine Runde mitfahren?“
„Nein, ich muss mein Kind abholen.“ Jetzt bin ich auch neugierig, sage ihm gerade heraus, dass er doch ganz gut aussieht, ob er denn sonst keine Chancen hat? Nein, angeblich nicht. Er startet einen letzten Versuch: „Und wenn ich Ihnen Geld anbiete? Nur für ein Gespräch?“
„Nein, Schätzchen, käuflich bin ich auch nicht!“
Langsam scheint er zu resignieren: „Dann habe ich also wirklich überhaupt keine Chance bei Ihnen?“
„Nein, tut mir Leid.“
Wir verabschieden uns, ich wünsche ihm viel Glück. Er fährt davon und ich gehe weiter Richtung Kita. Für die nächsten Stunden bin ich in sehr heiterer Stimmung. Es tut schon wahnsinnig gut, auch als „alte“ Ehefrau einmal festzustellen, dass ich durchaus noch einen Marktwert habe, mir ohne weiteres noch einen jungen Lover anlachen könnte, wenn ich es denn wollte. Aber da ich ja, wie inzwischen oft genug bestätig, verheiratet bin und glücklich dazu, kann ich meinem Mann getrost diese kleine Geschichte erzählen. Der meint gleich, das war bestimmt ein Zuhälter auf der Suche nach neuen Nutten. Hm, irgendwie glaube ich, dass ich für den Job nun doch zu alt wäre. Ich kenne mich zwar nicht aus, will es auch gar nicht, aber geht es da nicht nach dem Prinzip: Frischfleisch für alte Säcke?
Wie auch immer, warum auch immer, es hat mir einfach gut getan! Und mein junger Verehrer wird sicherlich bald eine nette Frau finden, die nicht nein zu ihm sagt.