…um in deine Seele zu beißen
(23.04.09)

In Extremo - Küss Mich:
Ich weiß, ich weiß wie Du heißt
Ich weiß, ich weiß was Du treibst
Kann nicht mehr schlafen, kann nichts mehr essen
Ich bin von Deinem Anblick besessen
Ich weiß, ich weiß wie Du fühlst
Ich weiß, ich weiß wann Du lügst
Durch das Schlüsselloch werd ich mich schleichen
Um in Deine Seele zu beißen
Mein Geist schwebt über Dir
Du kannst mich retten mit nem Kuss von Dir

Ich weiß, ich weiß wie Du schläfst
Ich weiß, Ich weiß wie Du gehst
Meine Säfte bringst Du zum kochen
Ich komm auf allen Vieren gekrochen
Ich weiß, ich weiß wie Du riechst
Ich weiß, ich weiß wann Du lügst
Durch die Wände werd ich mich recken
Um mich in Dir einzubetten
Mein Geist schwebt über Dir
Du kannst mich retten mit nem Kuss von Dir


Habe ich dir je etwas bedeutet? Hast du mich je geliebt? Oder war ich einfach nur die nette, aber bedeutungslos Abwechslung zwischendurch? Ich jedenfalls habe dich geliebt, wahnsinnig, bis hin zur Besessenheit. Nein, falsch, ich habe dich nicht geliebt, ich liebe dich noch immer. Obwohl ich gestorben bin. Deinetwegen!
Wenn ihr mich heute fragen würdet, ob es Absicht war, ob ich sterben wollte, oder ob es nur ein Unfall war, ich kann es nicht sagen. Fakt ist, dass ich in meinem Zustand wahrscheinlich ebenso wenig hätte fahren sollen, wie wenn ich mich mit Alkohol zugedröhnt hätte. Ich war blind vor Tränen, deinetwegen vergossen. Und über meinen Gemütszustand reden wir besser gar nicht. Alles, woran ich mich erinnere, war dieser LKW in voller Fahrt frontal vor mir, direkt vor meiner Motorhaube. Dann ein ohrenbetäubender Knall und der alles zerfetzende Aufprall. Kurz darauf sah ich mich selbst, aus einer merkwürdigen, ungewohnten Perspektive. Sah das zerfetzte Metall, zersplittertes Glas, zerborstener Kunststoff, was einmal mein Auto gewesen war. Darin, stückchenweise verteilt, die blutigen Überreste meines einstigen Körpers. Ich schwöre, wäre ich nicht bereits tot gewesen, dieser Anblick hätte hingereicht, um mich zu übergeben. So aber befand ich mich über mir selbst, in diesem seltsamen Schwebezustand, beobachtete das Eintreffen der Rettungskräfte, welche sich um meinen irreparablen Körper bemühten.

Wer auch immer behauptet, nach dem Tod würde man ein Licht sehen, in das man nur hineinzugehen bräuchte, um wo auch immer anzukommen, ich sah nichts dergleichen. Vielleicht, weil ich mit dir, mit meinem Leben hier, noch lange nicht abgeschlossen habe? Plötzlich kam mir dieser Gedanke! Ich war frei! Ich hatte keinen Körper mehr, der mich an irgendetwas hindern konnte. Also beschloss ich, nicht länger am Ort meines Ablebens herum zu lungern, sondern mich auf die Suche nach dir zu machen. Es funktionierte tatsächlich, Wände und dergleichen stellten für mich kein Hindernis mehr dar. Ich glitt einfach hindurch. Genau so einfach, wie ich mich unter Wasser bewegen konnte. Praktisch, ich brauchte ja nicht mehr zu atmen. Dann erreichte ich dich! Und es war frustrierend! Du bemerktest mich nicht. Ich glitt mehrmals durch dich hindurch, ich schrie dich an, versuchte, dich zu berühren. Deine einzige Reaktion war ein ganz offensichtliches Frösteln, denn du bekamst Gänsehaut, machtest das Fenster zu und zogst deine Jacke an. Ich zog mich zunächst zurück, begnügte mich damit, dich einfach nur anzusehen, in deiner Nähe zu sein. Aber ich wollte mehr! Deshalb versuchte ich es wieder und wieder, irgendwie in dich einzudringen, zu dir durchzudringen und stellte erstaunliches fest. Ich hatte Zugang zu deiner Seele! Ich konnte in deine Gedankenwelt eindringen, bis in den hintersten Winkel! Du hattest natürlich von meinem Ableben noch keine Ahnung. Woher auch? Sollte ich es dir mitteilein? Nein, das erfährst du schon früh genug, mein Lieber. Erst mal stöberte ich mich nach Herzenslust durch dein Innenleben, durch all deine finsteren, kleinen Geheimnisse. Kaum zu glauben, was du alles vor mir verborgen hast. Diese kleine Blondine zum Beispiel. Ein hübsches, dummes Ding. Geradezu der Blondinen- klassiker aus geschmacklosen Witzen. Na, die soll mir mal unterkommen! Aber jetzt hat sie keine Chance mehr, dich mir weg zu nehmen. Schon komisch, auf einmal so deutlich zu spüren, wie du fühlst und denkst. Am liebsten hätte ich dich nie mehr verlassen, aber offensicht-lich hat mein kleiner Übergriff dich so sehr geschwächt, dass ich dich besser wieder dir selbst überlasse.
Die nächste Überraschung kam, als ich mich wieder außerhalb von dir befand. Ich war nicht länger nur ein Geist, körperlos. Da war auf einmal mehr! Fühlte sich an, als wäre ich aus zähfließendem Glibber. Hey, ich habe noch keine Erfahrung im tot sein, weiß nicht, was hier grad mit mir passiert, aber ich wette, das, woraus ich jetzt offensichtlich bestehen, ist so was wie Ektoplasma. Früher, als ich noch lebte, hätte ich mich in diesem Zustand sicher eklig gefunden. Jetzt war es ziemlich faszinierend. Ich bewegte mich wie fließendes Wasser über den Boden. Aber im Gegensatz zu Wasser konnte ich auch aus eigener Kraft aufwärts fließen. Und – selbst wenn ich jetzt nicht mehr durch Wände hindurch schweben konnte – es gab keine Ritze unter der Tür, kein Schlüsselloch, keine noch so kleine Öffnung, durch die ich mich nicht hindurch quetschen konnte. Diese neue Situation musste ich erst mal verdauen. Ich glibberte mich hin zum nächsten Teich, den ich fand, ließ mich auf seinem Grund nieder. Wasser würde mir vermutlich gut tun, wohingegen ich fürchtete, dass ich mich nie mehr in die pralle Sonne würde wagen können, ohne auszutrocknen.
Als ich sicher sein konnte, dass es Nacht geworden war, machte ich mich wieder auf den Weg zu dir. Du lagst ahnungslos schlafend im Bett. Ich schleimte zu dir hoch, kroch über deinen Körper, legte mich um dich wie eine zweite Haut. Dass du dadurch wieder zu frieren anfingst kann ich nicht ändern. Ich jedenfalls genoss es, deine Wärme und den köstlichen Duft deiner Haut aufzusaugen, mich daran zu stärken. Ob ich es immer noch schaffte, auch in deinen Geist einzudringen? Langsam tastete ich mich in dein Bewusstsein. Und stellte fest, dass ich Einfluss auf deine Träume nehmen konnte! Ein berauschendes Gefühl!
Von diesem Moment an sah meine neue Existenz so aus, dass ich mich tagsüber in diversen Seen, Flüssen, Kanälen herum trieb. Das habe ich mir schon immer gewünscht, das Unterwasserleben zu genießen, ohne mich mit Nebensächlichkeiten wie Atmung, Druckausgleich und dergleichen zu belasten. Nachts schleiche ich mich dann zu dir, nehme dich in Besitz, ganz und gar. Deinen Körper und deine Seele. Und ich treibe es mit dir, die ganze Nacht. Dass ich dich damit so sehr auslauge, dass du tagsüber kaum noch zu deinem normalen Leben fähig bist, ist mir bewusst. Aber aufhören? Niemals!
Bin ich größenwahnsinnig, weil ich meine neue Macht über dich so genieße! Vielleicht sollte ich irgendeinen verstorbenen Psychiater aufsuchen, der genauso wie ich noch im Diesseits festhängt. Aber der würde mich sicher dazu überreden, meine krankhafte Sucht nach dir aufzugeben, in das viel zitierte Licht zu gehen. Davon habe ich noch immer nichts gesehen. Wahrscheinlich gibt es das auch nicht, zumindest nicht für mich, die ich erst sterben musste, um eine Kontrolle über dich zu erlangen, wie ich sie im Leben nie gehabt hätte. Falko hatte Recht, als er gesungen hat: „Muss ich denn sterben, um zu leben?“ Auf mich trifft das jedenfalls zu.
Zwischendurch war ich in Versuchung, den nicht sehr hellen Geist dieser dummen Blondine, mit der du dich immer noch abgibst, aus ihrem Körper zu vertreiben. Auch eine verlockenden Möglichkeit, dich wieder zu bekommen und ein neues richtiges Leben dazu. Ich erschrecke fast vor mir selbst! War ich im Leben doch immer so nett und zuvorkommend scheine ich mich jetzt in den sprichwörtlichen bösen Geist verwandelt zu haben. Dass ich diese Hohlbirne letztlich doch lieber verschonte hat zweierlei Gründe. Wäre ich wieder ein Mensch aus Fleisch und Blut könntest du mich jederzeit wieder von dir stoßen, mich so tief verletzen, wie du es schon einmal getan hast. Außerdem will ich ihr mit Sicherheit nicht die Möglichkeit geben, befreit von ihrem Körper womöglich auch nur halb so mächtig zu werden wie ich.

Also mache ich so weiter mit dir wie bisher. Ich weiß nicht, wie lange du es noch durchhältst, dass ich dich Nacht für Nacht so sehr auslauge. Wirst du mir bald folgen? Aber eins ist sicher. So lange du lebst und darüber hinaus, gehörst du mir. Ich war nie mit dir verheiratet. Aber wozu auch, wenn die Worte: „Bis das der Tod euch scheidet…“, für mich keine Bedeutung mehr haben. Mich trennt niemand mehr von dir, bis in alle Ewigkeit.