Mein Außerirdischer Liebhaber

Eines Tages kamen sie auf unserem Planeten an. Viele nennen sie Invasoren, Eroberer, Unterdrücker. Sie selbst nennen sich unsere Retter, unsere Lehrer. Eine überlegene Rasse die erschreckend anders aussieht als wir. Der Planet, von welchem sie stammen, hat grundsätzlich eine ähnliche Entwicklung genommen wie unsere Welt. Nur mit einem gravierenden Unterschied. Bei uns sind die Dinosaurier vor unendlich langer Zeit ausgestorben. In ihrer Welt haben sie sich im Lauf von Millionen Jahren zu hochintelligenten, zivilisierten Dinosauroiden entwickelt. Ihre Gestalt ist menschenähnlich. Ihre Haut jedoch graugrün, schuppig wie die einer Echse. Ihre Augen sind gelb mit schlitzförmigen Pupillen. An Händen und Füßen haben sie Krallen. Ihre Gehirne sind auf jeden Fall unendlich viel weiter entwickelt als unsere. Nicht nur, dass sie über eine Technologie verfügen, von der bei uns bestenfalls Science-Fiction-Autoren träumen, sie verfügen zudem über die hoch ausgeprägte Gabe der Telepathie. Waffen und Gewalt brauchten sie gar nicht, um mit uns Menschen fertig zu werden. Sie sind ein bisschen wie Computerhacker. Nur dass die Computer, in die sie sich einloggen unsere Gehirne sind. Sie können uns mühelos ihren Willen ausführen lassen. Aber ich wollte noch ausführlich über den Grund ihrer friedlichen Invasion berichten.

Diese Außerirdischen sind Forscher und immer an Kontakt mit anderen Lebensformen interessiert. In riesigen, kugelförmigen Wohneinheiten sind sie im All unterwegs. Diese kugelförmigen Raumschiffe enthalten nicht nur Wohneinheiten und Forschungslabors, auch Gewächshäuser, in denen sie ihre Nahrungsmittel anbauen. Sie haben unterwegs praktisch alles dabei, was sie zum Überleben brauchen. Kurz und gut, auch unsere Erde lag auf ihrer Route durch die Galaxie. Und von dem, was sie bei uns sahen, waren sie hellauf entsetzt. Geschöpfe, die sich selbst für intelligent und zivilisiert halten, führen Kriege, zerstören ihren Lebensraum, haben keinerlei Achtung vor ihresgleichen, erst recht nicht vor vermeidlich primitiveren Lebensformen oder ihrer Umwelt. Da konnten sie nicht tatenlos zusehen, sie mussten einfach eingreifen. In ihrer Kultur zu Hause haben sie es fertig gebracht, mit modernster Technologie trotzdem im Einklang mit der Natur zu leben. Obwohl sie auf uns gefährlich wirken sind sie tatsächlich Vegetarier, die keine Mitgeschöpfe, gleich welcher Art, töten. Und ihre Lebensart wollten sie auch uns vermitteln damit wir uns nicht selbst zerstören. Trotz ihrer guten Absichten scheint sie kaum ein Mensch zu mögen. Klar, wer will sich schon gern unterordnen ohne die kleinste Chance, sich dagegen zu wehren? Die meisten Menschen fürchten sie ganz einfach. Und die wenigsten sind in der Lage, sie wirklich zu verstehen, ihre Absichten nachzuvollziehen. Anscheinend sind wir Menschen wirklich zu egoistisch und eingebildet, um zu kapieren, dass andere es gut mit uns meinen, uns wirklich helfen können. Schon gar nicht diese wie Dinosaurier anmutenden Fremdlinge.

Was mich persönlich angeht, klar, unheimlich waren sie mir zuerst auch. Konnten wir Menschen denn sicher sein, dass sie uns wirklich nichts tun? Aber kein Thema hat mich in meiner Schulzeit mehr fasziniert als die Dinosaurier. Noch heute zählen Schildkröten und Leguane zu meinen Lieblingstieren. Auch Schlagen finde ich nicht eklig sondern einfach nur schön. Und hier hatte ich nun die direkten Nachfahren der Saurier vor mir, die intelligente, humanoide Version heute lebender Echsen. Die Frage, was denn da draußen in der unendlichen Weite des Alls noch alles leben mag, hat mich schon immer brennend interessiert. Und jetzt hatte ich sie vor mir! Und die größte Überraschung war, dass sie mit mir und einigen tausend anderen Menschen etwas ganz besonderes vor hatten. Ein außergewöhnliches Experiment. Vor einiger Zeit hatten sie – für ihre Verhältnisse nicht weit von uns entfernt – einen neuen Planeten terraformiert und kolonialisiert. Und hier wollten einige von ihnen mit einigen von uns eine besondere Form des Zusammenlebens testen. Mit ihrer überlegenen Technologie wollten sie dort mit den von uns auserwählten eine neue Zivilisation gründen. Ohne Unterdrückung, ohne all die Probleme, die wir auf der Erde haben. Nein, gefragt haben sie uns nicht, ob wir ausgewählt werden wollen. Mit ihren telepatischen Fähigkeiten haben sie wohl so eine Art Bewusstseinsscan bei uns durchgeführt, sich die von uns rausgepickt, die nach ihren Kriterien geeignet waren. Und ich bin dabei! Haben sie mich ausgewählt, weil ich die Welt, in der ich bisher zu leben gezwungen war, nie besonders geliebt habe, die Ansicht unserer „Invasoren“ grundsätzlich teile? Mit meinen Mitmenschen hatte ich auch immer so meine Probleme. Meistens war ich, mehr oder weniger unfreiwillig, Außenseiterin und Einzelgängerin. Ich bin jedenfalls freiwillig und gern mit auf ihr Raumschiff gekommen. Selbstverständlich habe ich gefragt, ob ich denn nichts von meinen Sachen mitnehmen darf. „Das wird nicht nötig sein“, hat man mir darauf geantwortet.

Natürlich, sie können auch richtig sprechen, beherrschen unsere Sprache perfekt, auch wenn sie mit einem leicht grollenden, kehligen Unterton sprechen. Untereinander verständigen sie sich ausschließlich telepatisch, aber hin und wieder reden sie auch mit Ihresgleichen richtig. Das klingt in unseren Ohren wie unverständliches Zischen, Fauchen, Grollen. Einen großen Vorteil hat diese Telepathie. Die brauchen kein Telefon, das klappt ganz ohne technische Hilfsmittel über jede Entfernung, ohne Zeitverlust und ohne das beim Teilnehmer am anderen Ende besetzt ist oder ähnliches. Aber zurück zu unserem neuen Planeten.

Ich war in jeder Hinsicht angenehm überrascht. Die Landschaft ist einfach nur grandios; Berge, Wälder, viele Seen und Flüsse, ein herrlich blaues Meer. Alles ist so frisch und grün, unberührt eben. So saubere Luft wie dort habe ich vorher noch nie geatmet. Und doch gibt es auch eine richtig Stadt, ebenfalls neu und noch nie zuvor bewohnt. Jeder von uns bekam eine eigene, durchaus angemessene Wohnung. Und beim Betreten dieser Wohnung war ich dann wieder positiv überrascht. In meiner Wohnung standen tatsächlich die meisten meiner Sachen von der Erde. Ich weiß bis heute nicht, ob es wirklich meine Sachen sind oder täuschend echte Replikate. Wenn es denn Kopien sind, merkt man jedenfalls keinen Unterschied.

Wir bekamen die Regeln für unser Zusammenleben erklärt und jeder kriegte eine bestimmte Aufgabe zugeteilt. Auch in dieser neuen Welt hat natürlich jeder seinen Beruf, geschenkt wird einem nichts. Mein Job hier ist Haushaltshilfe bei einem von unseren Echsenmenschen. Und auch er ist eine angenehme Überraschung. So richtig engen, persönlichen Kontakt hatte ich bisher noch zu keinem von ihnen. Dass es ein ER ist, das hat er mir ziemlich zu Anfang schon gesagt. Äußerlich sehen wir Menschen da nämlich keinen Unterschied. Zumindest nicht auf den ersten Blick und auch nicht auf den zweiten. Klar hat er auch einen Namen, nur kann ich den beim besten Willen nicht aussprechen. Da ich ihn ja irgendwie anreden muss, haben wir uns darauf geeinigt, dass ich ihn Dino nennen darf. Ist immerhin ein richtiger Name und passt zu dem, was er nun mal ist. Außer zu Dino habe ich auch hier kaum Kontakte, nicht zu den Menschen und nicht zu den Echsen. Seine Wohnung ist geringfügig größer und komfortabler als meine. Viel Arbeit macht Dino mir nicht. Er ist sehr ordentlich und sauber; so richtig Dreck und Chaos gibt es bei ihm praktisch nicht. Manche Menschen hausen dagegen wie die Schweine. Ich weiß auch nicht, ob Ordnung und Sauberkeit eine grundsätzliche Eigenschaft dieser Spezies ist oder ob Dino da eine rühmliche Ausnahme ist. Trotzdem erledige ich meine Arbeit so gründlich und gewissenhaft, wie es nun mal meine Gewohnheit ist. Schluderei liegt auch mir nicht.

Dino und ich unterhalten uns oft und viel über praktisch jedes Thema. Das ist keineswegs selbstverständlich sondern ein Zeichen von großem Respekt seinerseits. Theoretisch hat er es mit seinen Fähigkeiten zur Gedankenkontrolle ja überhaupt nicht nötig, mit mir zu reden. Wenn seine Spezies einen Menschen nicht besonders schätzt, ihn gar nicht mag, dann zwingen sie ihm einfach ihren Willen per Gedankenkraft auf. Der Mensch merkt dann zwar, dass er manipuliert wird, hat aber keine Wahl, als zu gehorchen. Machen sie sich also die Mühe, uns ihre Anweisungen mit Worten zu geben, uns die Entscheidung zu überlassen, was wir tun und lassen wollen, ist das ein Zeichen von Achtung uns gegenüber. Dazu sollte ich vielleicht noch erwähnen, dass sie selbst untereinander mühelos in der Lage sind, das Eindringen fremder Gedanken zu verhindern, wenn sie es nicht wollen. Sie geben untereinander nur die Gedanken preis, die sie preisgeben wollen. Und per Willenskraft kontrollieren können sie sich gegenseitig auch nicht. Das funktioniert nur bei geistig schwächeren Wesen, bei uns Menschen eben.

Dinos Bereitschaft, sich auf ausführliche Unterhaltungen mit mir einzulassen, ist, wie ich schon sagte, wirklich ein Zeichen von großem Respekt, den er meiner Person entgegen bringt. Dass er mir noch viel mehr entgegen bringt, wurde mir eines Tages nach Erledigung meiner Arbeit klar. Ich wollte mich, wie üblich, verabschieden, um den Rest des Tages damit zu verbringen, meine wundervolle, neue Heimat zu durchstreifen. Von dieser herrlichen, grandiosen Natur werde ich wohl nie genug kriegen können. Dino fragte mich nun, ob ich nicht noch Zeit hätte, ein wenig länger zu bleiben. Klar, warum nicht, wenn ich noch etwas extra erledigen soll. Schließlich werde ich für meinen Job ja bezahlt. Ich stand also vor ihm, wartete auf weitere Anweisungen. Was er dann tatsächlich sagte, ließ mich erst mal nach Luft schnappen.

„Du, weißt du, was ich schon die ganze Zeit wissen will? Wie es ist, Sex mit eine Menschenfrau zu haben. Mit dir!“

Also, klar finde ich ihn nett, angenehm im Umgang, aber so habe ich unsere Beziehung nun doch noch nie gesehen. Ich wusste beim besten Willen nicht, was ich dazu sagen soll. Nach langem Schweigen meinerseits sagte Dino, sichtlich enttäuscht: „Schon klar, als Arbeitgeber, als anregender Gesprächspartner, bin ich für dich okay. Aber körperlich findest du mich abstoßend. Kann ich dir auch nicht verdenken. Vergessen wir’s.“

„Warum zwingst du mir nicht einfach deinen Willen auf? Das könntest du doch ohne Weiteres tun wenn dir so viel daran liegt.“

„Ich will es aber nicht. Das sollte nun wirklich deine Entscheidung sein. Alles andere würde in diesem Fall jeglichen moralischen Grundsätzen widersprechen.“

„Tut mir Leid, aber so spontan kann ich das wirklich nicht entscheiden. Freundschaft ist eine Sache aber...“

„Ich verstehe dich ja. Mir sollte es Leid tun. War wohl ne blöde Frage.“

Kurz strich er mit einem Finger über meine Wange, ganz sanft, ganz zart. Und diese Berührung hat etwas in mir ausgelöst, was ich nicht mal beschreiben kann. Er hatte sich schon abgewandt, sollte wohl heißen, dass ich für heute entlassen bin. Aber ich war nicht fähig, zu gehen. „Dino!“, stieß ich nur leise hervor. Erneut drehte er sich zu mir um. Tja, und dann standen wir voreinander, sahen uns in die Augen, schweigend. Diese merkwürdigen, gelben Reptilienaugen! Und trotzdem lang in diesem Blick eine Zärtlichkeit, die mich fast zittern ließ. Rein körperlich weiß ich von ihnen bis jetzt gerade mal so viel, dass sie, im Gegensatz zu Sauriern und Echsen, lebend gebärende Warmblüter und somit auch Säuger sind. Babys, Kinder von ihnen, habe ich noch nie gesehen. Die lassen sie wohl zu Hause, wenn sie auf ihre Forschungsmissionen gehen.

Dino und ich also, die Blicke können wir nicht voneinander lassen. Fast automatisch fassen wir uns an den Händen. Dann nehmen wir uns langsam und zögernd in die Arme. Haben Sie schon mal eine Schlange gestreichelt? Die meisten Menschen glauben wohl, Schlangen würden sich eklig, kalt und schleimig anfühlen. Tatsächlich ist ihre Haut wunderbar seidig weich, einfach nur angenehm. Bei Dino ist es genau so; weich, warm, angenehm. Leicht liegen seine Arme um meine Schultern. Es ist merkwürdig zu hören, dass sein Herz genau so schlägt wie das eines Menschen. Keine Ahnung, was ich mir da bisher vorgestellt habe, aber sie sind uns doch in vielen Dingen ähnlicher, als wir wahr haben wollen. Ganz sanft streicheln seine Hände über meinen Rücken. Kaum zu glauben, dass mit Krallen bewehrte Finger so zärtlich sein können. Keine Spur von Schmerz, den man unwillkürlich erwartet. Höchsten ein ganz sachtes Kratzen, was durchaus angenehm ist. Auch ich streichele über seinen Rücken. Dort allerdings, über der Wirbelsäule, hat er so etwas wie einen Schutzpanzer, hart und flexibel zugleich. Ob er meine Berührungen da überhaupt spürt? Seine Zunge beginnt, mein Ohr zu umspielen. Kitzlig! Das ich bald mit freiem Oberkörper halb neben, halb unter ihm auf dem Sofa liege ist schon fast selbstverständlich. Und jetzt lässt er seine Zunge über meine nackte Haut gleiten was bei mir heftigere Atmung als gewöhnlich auslöst. Bei ihm ebenfalls.

„Du schmeckst einfach köstlich!“

Ups, diese Bemerkung erschreckt mich jetzt doch. Sind die nicht Vegetarier? Er merkt sofort, dass was nicht stimmt, zieht sich zurück. Sieht mich an und lächelt, lacht geradezu.

„Hast du geglaubt, ich will dich fressen? Aber nicht doch! Die Geschmacksabsonderungen deiner Haut, die sind köstlich.“ Mein Schweiß etwa?

„Und überhaupt, die Redewendungen, die ihr Menschen so gebraucht! Ihr vernascht jemanden, reißt ihn auf, habt ihn zum Fressen gern. Das klingt ja absolut brutal, wenn man nicht weiß, was ihr damit meint.“

Jetzt muss ich auch lachen. Missverständnisse unterschiedlicher Rassen eben! Wieder sieht Dino mich lange an. „Weißt du, wenn wir uns verlieben, einander ganz nahe sein wollen, dann geben wir unserem Partner auch unsere Gedanken und Gefühle ganz und gar preis. Ich kann zwar jederzeit in dein Bewusstsein eindringen, wenn ich es will. Du kannst es nur, wenn ich es dir übermittle. Bist du bereit dafür?“

„Ja, warum nicht? Ist bestimmt eine aufregende Erfahrung.“

„Nur, für einen Menschen kann das schnell zu viel werden.“

„Ich denke, ich verkrafte das schon.“

Diese unendliche Liebe und Zärtlichkeit, die dann auf mein Gehirn einströmte, nahm mir dann doch fast den Atem. Hat je ein Mensch so tief und ehrlich für mich empfunden? Wenn ich je noch Zweifel hatte, ob es richtig ist, mich auf eine intime Beziehung mit Dino einzulassen, jetzt sind sie wie weggefegt. Bald schon sind wir beide nackt. Und, wow, so gut wie er bestückt ist, da würde wahrscheinlich jeder Menschenmann blass vor Neid. Hatte ich jemals Zweifel, dass er ein exzellenter Liebhaber ist? Zärtlich, dass ich es kaum ertragen kann, dabei von einer Ausdauer, die mich an den Rand der Erschöpfung treibt.

Meine eigene Wohnung brauche ich bald nicht mehr. Und ist es nicht erstaunlich, dass erst eine Invasion von Außerirdischen kommen muss, mich gewissermaßen auf eine fremden Planeten verschleppen muss, damit ich all das erfahre, was mir meine Heimatwelt, meine Mitmenschen nie geben konnten? Heimat, Liebe, Geborgenheit, bedingungsloses Vertrauen, all das gibt mir Dino. Was uns beide betrifft, da hat das Experiment mit der Koexistenz jedenfalls zu 100 % geklappt. Und dafür werde ich Dino und seinen Artgenossen ewig dankbar sein.