Voodoo-Bärchen
(28.09.09)

Bei Voodoo denke ich zuerst an diese Püppchen, die mit Nadeln traktiert werden, um damit jemandem Schmerz zuzufügen, ihn gar zu töten. Ob ich daran glauben soll weiß ich nicht so recht. Doch dann kam der Tag, an dem ich es selbst ausprobierte. Jedoch nicht, um jemandem zu schaden. Alles begann damit, dass ich diesen süßen, kleinen Teddybären entdeckte, der mich – ich weiß nicht, warum – sofort an IHN denken ließ, den Mann meiner Träume.



Jedenfalls musste ich dieses knuddelige Bärchen unbedingt haben. Nicht, dass ich extra an diesen Mann erinnert werden müsste. Dazu ist er in meinem Kopf allzeit nur zu präsent, in meinem Leben leider nicht. Wir kennen uns, verstehen uns auch prima, sehen uns aber viel zu selten und nur zufällig, mehr ist da nicht, zumindest nicht von seiner Seite. Mir hingegen bescherte er schlaflose Nächte, Schmetterlinge im Bauch, Herzklopfen, kurz, eine geradezu backfischhafte Verliebtheit. Nur, ahnte ER was davon? Ich versuche zwar, ihm dezent klar zu machen, was ich für ihn empfinde, hoffentlich, ohne dabei aufdringlich zu wirken. Leider scheint der Traum meiner schlaflosen Nächte da etwas schwer von Begriff zu sein.
Nunmehr im Besitz dieses Bärchens, welches auf eine nicht näher erklärbare Art und Weise wie er zu sein schien, kam mir der Gedanke, das mit dem Voodoo einfach mal auszuprobieren. Natürlich nicht, indem ich es mit Nadeln spickte! Im Gegenteil! Ich nahm mein Bärchen zärtlich in die Hand, streichelte es liebevoll und erzählte ihm alles, was ich für sein menschliches Pendant empfand. All meine rastlose Sehnsucht, meine unerfüllten Wünsche im Bezug auf diesen Mann teilte ich mit Bärchen. Dabei versuchte ich, mir vorzustellen, dass meine Gedanken hinausflogen in die weite Welt, hin zu ihm. Dass er dann unwillkürlich auch an mich denken musste, weil ich so intensiv an ihn dachte. Dass Bärchen, gewissermaßen als Katalysator, ihm all das übermittelte, was ich sagte und tat. Ob ER wohl meine sanften Berührungen auf irgendeine Art über Entfernungen hinweg spürte, meine Worte in seinem Kopf hörte?
Zunächst schien es nicht so, als ob meine Bemühungen irgendetwas fruchteten. Unser Kontakt blieb so spärlich bis nicht vorhanden wie eh und je. Dann das Unglaubliche!
Nach langer Zeit war er endlich wieder im Chat anwesend und unterhielt sich tatsächlich mit mir. So locker und ungezwungen, wie wir immer miteinander quatschen, wenn wir es denn tun. Auf einmal seine Frage: „Hast du morgen schon was vor?“
„Nein“, textete ich zurück. „Wieso fragst du?“
„Lust, mit mir ins Kino zu gehen?“
Na, und ob ich Lust hatte! Wir einigten uns auf den Film, den wir sehen wollten, vereinbarten eine Zeit, zu der er mich abholen sollte. Kurz darauf wünschten wir uns eine gute Nacht, verabschiedeten uns. Gleich darauf riss ich Bärchen in meine Arme, drehte mich jubelnd mit ihm im Kreis.
„Bärchen, stell dir vor, es hat geklappt! Er hat mich eingeladen! Morgen gehen wir zusammen ins Kino!“ Gleich darauf überfielen mich nagende Zweifel. Was, wenn er es sich doch noch mal anders überlegt, die Verabredung absagt oder – schlimmer noch – einfach gar nicht kommt.
„Bärchen“, flehte ich, „ich weiß zwar nicht, ob du mit dieser Entwicklung tatsächlich was zu tun hast oder ob es reiner Zufall ist, aber wenn es an dir liegt, wenn diese Sache mit dem Voodoo funktioniert, dann mach, dass er morgen unbedingt unsere Verabredung einhält.“
Vor Aufregung konnte ich kaum schlafen, brachte auch den ganzen nächsten Tag kaum etwas Vernünftiges zustande. Wie endlos lang sich doch die Zeit bis 19:00 Uhr dehnen kann. Besser zu früh als zu spät begann ich mich für den Abend fertig zu machen. Duschen, Kleiderschrank durchforsten, etliche Male umziehen, neu frisieren und doch nicht zufrieden sein. Schließlich mich dem komme-was-da-wolle-Gefühl hingeben. Nervös war ich sowieso, lief ständig zum Fenster, nachsehen, ob sein Auto nicht endlich vorfuhr. Bärchen saß dieweil auf meinem Kopfkissen, beobachtete mein hektisches Treiben mit stoischer Gelassenheit und hörte sich geduldig meine Schilderung über den erhofften Verlauf des Abends an.
Das Schrillen der Türklingel kam für mich – obwohl sehnsüchtig erhofft und erwartet – dann doch so überraschend, dass ich vor Schreck einen Luftsprung machte. Auf dem Weg zur Wohnungstür ein letzter Blick in den Spiegel. Was jetzt noch nicht stimmte war eh nicht mehr zu retten. Tür auf und … er stand vor mir.
„Wow, hast du dich schick gemacht“, waren seine ersten Worte.
„D…Danke“, stammelte ich errötend. „Komm doch erst mal rein, setzt dich“, forderte ich ihn mit einer Handbewegung Richtung Wohnzimmer auf. „Ich bin gleich so weit. Willst du was trinken?“
„Nein danke, im Moment nicht.“

Zunächst „flüchtete“ ich ins Schlafzimmer, versuchte, nicht zu hyperventilieren, meine Nervosität in den Griff zu bekommen. Schuhe anziehen, Handtasche parat, vorsichtshalber noch mal aufs Klo, dann begab ich mich zu ihm ins Wohnzimmer.
„Von mir aus können wir jetzt los.“
Er sprang vom Sofa auf. „Okay, gehen wir.“
Während der Fahrt versuchte ich mich in lockerem Small Talk ohne hektisch drauflos zu plappern, widerstand dabei der Versuchung, meine Hand auf seine über dem Schalthebel zu legen. Ankunft am Kino, Karten kaufen, letzte Reihe – natürlich rein zufällig und ohne Hintergedanken. Und irgendwann im Lauf des Films passierte es. Unsere Fingerspitzen berührten sich, sanftes, zögerndes sich vortasten. Bald schon ruhte mein Kopf an seiner Schulter, das Streicheln wurde intensiver, unsere Lippen fanden sich in nicht enden wollenden Küssen. Wie der Film ausging? Davon habe ich nichts mehr mitbekommen.
Auf dem Rückweg legten wir eine Knutschpause auf einem einsamen Parkplatz ein. Später war es gar keine Frage, dass er mich nicht einfach zu Hause ablieferte sondern noch mit rauf kam. Natürlich nur „auf einen Kaffee“.
Einmal entflammt schien unsere Leidenschaft keine Grenzen mehr zu kennen. Bärchen platzierte ich diskret im Sessel neben dem Bett, in welchem ich mich mit dem Mann amüsierte, den ich mit seiner Hilfe erobert hatte.
Hatte ich das? Funktionierte mein Liebes-Voodoo tatsächlich? Oder war es einfach nur Zufall, dass er endlich auf mich aufmerksam wurde. Herausfinden werde ich das wohl nie. Aber mein Glück mit ihm genieße ich in vollen Zügen.
Bärchen werde ich natürlich trotzdem behalten. Nachdem ich herausgefunden hatte, dass er meine Liebe zu meinem Teddy keineswegs albern fand, bekam Bärchen seinen Ehrenplatz auf seinem eigenen Extrakissen in unserem Bett.
Und sollte es jemals nicht so gut laufen mit uns, dann werde ich Bärchen wieder ganz besonders knuddeln und mit ihm reden. Doch es sieht ganz danach aus, als wäre das nicht notwendig. Bärchen hat jetzt einen neuen Job, als unser stummer Liebeswächter.